Mein Freund der 1nkompatibl3
Ich habe einen guten Freund, den ich leider nicht mehr so oft sehen kann. Nennen wir ihn… Lucionardo. Genau wie ich, hatte er einen oder viele gute Gründe unsere schöne kubanische Insel zu verlassen. Womöglich weil er mit der gesamten Situation unzufrieden war: Die Schnauze voll hatte, nur 15 Euro im Monat zu verdienen, vielleicht aber auch weil eine Frau ihm das Herz in tausend Stücke gebrochen hatte. Warum auch immer, jedenfalls hatte er genug Anlass seine Heimat zurück zu lassen und in ein fremdes Land zu emigrieren: Pullistania.
Jahre sind vergangen und obwohl Lucionardo in Pullistania Gelegenheitsjobs, eine attraktive Pullistanierin und zwei Kinder hatte, konnte er sein Glück nicht finden. Pullistania habe ihn nie akzeptiert… klagte er immer wieder. Jedes Mal, wenn wir uns unterhielten, fand er zahlreiche Worte, um mir die Pullistanier „herzergreifend“ zu beschreiben:
»Hallo Lucionardo!«
»Ja, hallo Denis! Mein Bruder… schon lange nicht mehr gesehen… Alles klar?«
»Bestens und bei dir?«
»Ja, ja… alles in Ordnung.«
»Was macht die Familie?«, wollte ich wissen.
»Alles super. Und wie geht’s deiner?«
»Uns geht’s allen gut. Kann nicht klagen. Sag mal, was macht deine Arbeit… in Pullistania?«
»Ach, hör auf… Scheiß Pullistanier, Mann!«
»Wieso?«
»Diese Leute mögen keine Ausländer.«
»Wie meinst du das?«, fragte ich. [Ich habe bis heute nicht verstanden wie jemand der selbst mit einer Pullistanierin verheiratet ist und zwei Kinder mit ihr hat, so etwas sagen kann].
»Mann, egal wie oft ich mich bewerbe, ich finde keine normalen Jobs. Diese verdammten Pullistanier! Die haben keine guten Zuwanderungsgesetze wie bei Euch. Die sind weit davon entfernt. Alles Analphabeten. Nur Bauern so weit das Auge reicht.«
»Aber vielleicht liegt es an dir…«, rückte ich vor.
»Ne, ne… an mir liegt es gewiss nicht!«, verteidigte er sich blitzschnell. »Diese Rassisten wollen einfach keine Migranten. Ich habe die Qualifikationen gesehen, die sie für diese Bürotätigkeiten haben wollen. Ich erfülle sie alle!«
»Aha…«, sagte ich leise. »Ich verstehe… Wie gut ist dein Pullistanisch?«
»Pullistanisch? Ganz wenig, so etwas brauche ich nicht. Ich kann nur Spanisch und Englisch.«
»Also… du sprichst Englisch mit den Pullistaniern in Pullistania?«
»Ja, Digga, logisch oder? Du… ich muss kurz weg. Ich muss meine Tochter von der Schule abholen« – wegen dieser dringenden Angelegenheit verabschiedete er sich rasch.
Ich, ebenfalls. Eine gewisse Logik konnte ich nicht erkennen. Aber wahrscheinlich lag es dran, dass ich nicht in Pullistania lebe. Mit noch mehr Fragen als vorher, blieb ich zurück:
- Wie kann Pullistania meinen Lucionardo jemals akzeptieren, wenn er selbst Pullistania ablehnt?
- Wieso müssen die Pullistanier in ihrem eigenen Land in einer Fremdsprache mit einem Fremden kommunizieren?
- Warum müssen immer die anderen die Verantwortung für unser Versagen tragen?
Nein, mein Lucionardo hatte sein Glück noch nicht gefunden. Die Jahre vergehen und Pullistania schreibt mit der Zeit seine eigenen Gesetze. Beide werden sich nie treffen und in die Arme nehmen, um sich gegenseitig zu verzeihen. Denn sie laufen auf unterschiedlichen Spuren. Sie sind einfach nicht kompatibel.
1 Kommentar
In der Dichte des Lebens | Ein Kubaner In Bayern · Mai 12, 2019 um 10:00 am
[…] wie unser eigenes Leben anders verlaufen wäre. Eine zweite Chance zu bekommen, um einen Freund zu verzeihen, eine ungewollte, doch ausgesprochene Beleidigung rückgängig zu machen, oder […]