Unter dem Mantel einer Lüge…
Fertig mit den Nerven und mit einer Recherche in der Bibliothek, wo ich den ganzen mühseligen Morgen verbracht habe, entschied ich mich für einen spannenden Spaziergang in der Gegend. Und so, ein Stück des noch verbliebenen Tages zu genießen. Das hatte ich nötig, nachdem ich fünf Bücher ausgeliehen und durchstöbert hatte. Auf der Suche nach ein wenig Wissensmaterial um mich für eine am Montag stehende Geschichtsprüfung in der Uni zu bewaffnen.
Ich verließ die kolossale Bibliothek voller Lektüren, Akten und Schriften und ging die Straße entlang mit einer Tonne von Gedanken über Kriege und Anekdoten aus der Vergangenheit. Das Wetter war angenehmen. Die Abwesenheit von Menschen auf der Straße half meinen gewünschten Gelassenheitspegel zu erreichen.
Aus der Entfernung sah ich zwei Personen, die sich unterhielten und beschloss in deren Richtung zu gehen. Plötzlich merkte ich, dass einer der beiden ein guter Freund von mir war. Ich eilte, und freute mich auf das Wiedersehen. Fast in seiner Nähe wollte ich mit dem Ritual einer freundlichen Begrüßung beginnen:
»Ha, ha. Schau dir diesen Neger an.« sagte der Ansprechpartner meines Bekannten… auf English. Seine Worte haben mich geschockt. Er kannte mich nicht, sonst hätte er etwas wichtiges gewusst. Am Anfang verstand ich seine Absichten nicht. Aber als ich seine Beleidigungen in der fremden Sprache hörte, verstand ich, dass er es nicht anders konnte. Er hatte es nicht anders gelernt. Denn er war ein Rassist. Einer von vielen auf Kuba, die sich unter dem feigen Mantel der »Wir sind alle Brüder und Schwestern« und »In Kuba haben wir kein Rassismus«- Lügen gern verstecken.
Während seinem diskriminierenden Monolog lachte ich leise.
»Und jetzt lacht er sogar, als ob dieses schwarze, hässliche Tier uns verstehen würde« ging er in seinem englischen Jargon fort. Mein Bekannte fing ebenfalls an zu lachen, denn er kannte unser Geheimnis.
»What are you laughin‘ at?« wollte der Fremde unbedingt wissen. Als er merkte, dass seine verletzende Worte das Gegenteil bewirkten. Er ahnte etwas, konnte es aber nicht wissen. Woher denn, er kannte mich nicht und so sollte es auch – nach seinem Auftritt – bleiben.
Mein Freund konnte sich nicht mehr zurückhalten und beschloss seinen Gesprächpartner nicht länger auf die Folter zu spannen.
»Weiß du…« sagte mein Freund ebenfalls auf Englisch »… diese Person, die du beleidigst«, dann schaute er zu mir »… und für ein dummes Tier hältst, kann vier Sprachen. Und zufälligerweise ist eine davon Englisch«
Der Fremde schaute mich ganz kurz an und sah für den Bruchteil einer Sekunde mein breites Lächeln. Ich merkte die Angst in seinen Augen. Diese Angst ertappt zu werden, wenn der Mantel einer Lüge vom Leib gerissen wird. Auf einmal entblößt zu sein. Er sagte kein Wort. Keine Entschuldigung. Hielt nicht einmal für nötig die Aussage – die mein Freund ihm gerade aufgetischt hatte – zu überprüfen. Kein Abschied. Er ging die Straße hoch. Dieselbe Straße,
die mich zu meinem Freund geführt hat. Und rannte so schnell er konnte. Als ob er ganz nackt gewesen wäre, ohne Mantel, ohne Versteck.
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