Die Macht der Dankbarkeit
Februar 2006, Freilassing. Der Regionalzug hatte Verspätung und ich einen wichtigen Termin in München, der zu platzen drohte, wenn der Schnee nicht bald aufhörte zu fallen. Eine rätselhafte Warnung verließ den alten Lautsprecher am Gleis und ich starrte die alten Boxen an, als ob die unverständlichen Sätze gleich mit Untertiteln ausgestrahlt worden wären.
»…Vorsicht bei der Einfahrt« konnte ich am Ende des letzten Satzes gerade noch heraushören. Alle betroffenen Passagiere bereiteten sich vor, die Bahn kam.
Schon im Zug, nahm ich einen Platz in der zweiten Klasse am Fenster, senkte meinen müden Kopf an die Scheibe und schaute mir den immer ferner werdenden weißen Bahnsteig an: Abgabedatum, Projekte, Unterlagen, Anforderungen, (…). Wie in einem Karussell drehten sich diese Gedanken pausenlos in meinem Kopf. Der ganze Stress und dieser verdammte Termin… Minuten vergingen. Endlich Ruhe.
»Ihre Papiere, bitte…!«, hörte ich plötzlich.
Oh, einen Augenblick nicht aufgepasst. Kurz eingeschlafen? Zwei uniformierte Polizisten standen vor mir. Der Mann wiederholte seine Aufforderung. Seine Partnerin – eine schöne, junge, blonde Dame – sagte nichts. Sie blieb ruhig und beobachte mich. Die Polizisten spürten im Nacken die anschuldigenden Blicke der Passagiere, in dem zur Hälfte besetzten Waggon. Die Gesetzeshüter waren ohne Zweifel direkt zu mir gekommen. Scheinbar wurde noch keine andere Person kontrolliert. Nur ich. Langsam fixierten meine Augen sein Gesicht. Dann zog ich sachte aus meiner linken Tasche einen nagelneuen deutschen Ausweis heraus. Er nahm ihn und machte einen Schritt zurück zu seiner weiblichen Kollegin.
Jetzt wäre für mich der günstigste Moment gewesen, um die »Sie-kontrollieren-mich-nur-weil-ich-ein-Ausländer-bin« Karte zu spielen. Vielleicht lag es daran, dass ich müde war oder, dass ich vor ein paar Monaten ein vollständiges Mitglied dieser Gesellschaft geworden war. Aber mir kam nur ein Wort über die Lippen: »Danke«.
Der Polizist verstand den Sinn meines Wortes nicht. Seine Körpersprache offenbarte seine Überforderung. Sein Gesicht fand keine definitive Mimik, um die Unsicherheit schnell genug zu verbergen. Erstaunlich, welche Kettenreaktion von widersprüchlichen Emotionen so ein winziges Wort in einer heiklen Situation auslösen kann.
»Wieso danke?« wollte er unbedingt erfahren ohne mich anzuschauen.
»Stellen Sie sich vor, ich wäre ein gesuchter Verbrecher. Sie hätten mich ertappt. Ich wäre jetzt verhaftet…«, erklärte ich.
»Ok…« sagte er noch verwirrter. Seine Verzweiflung hatte ihn noch im Griff. Scheinbar ist Lob Mangelware in diesem harten Beruf.
»Im Grunde genommen, …«, fuhr ich fort »… beschützen Sie mich auch und dafür danke ich Ihnen.« So beendete ich mein Statement.
Er hob seinen Blick, und grinste zu seiner Kollegin. Schloss meinen Pass und gab ihn mir lächelnd zurück. Beide verabschiedeten sich höflich und wünschten mir einen schönen Tag.
»Ihre Papiere, bitte…!«, hörte ich noch einmal weiter hinten im Wagen.
Später in München hatte ich ein erfolgreiches Meeting. Das Projekt war gerettet. Sein Wunsch ging in Erfüllung: Ich hatte einen schönen Tag in dem herrlichen München – der Hauptstadt Bayerns.
1 Kommentar
Der Clown in uns | Ein Kubaner In Bayern · Juli 15, 2018 um 9:36 am
[…] Mitleid erwecken, sondern nur mich bei diesen negativen Menschen von damals auf Kuba symbolisch bedanken. Ja, einfach Danke sagen, weil sie meinen Willen durch ihre Negativität und ab und zu verstreuten […]